Was Unterwegsversorger wie Tankstellen- und Convenience-Shops aus der Coronakrise lernen können und worauf es in den kommenden Monaten ankommt, erklärt Mark Wohltmann, Director Europe des internationalen Branchenverbands NACS. Die National Association of Convenience Stores ist der führende internationale Wirtschaftsverband der Branche, dem mehr als 1.500 Handelsunternehmen und 1.600 Lieferanten aus über 50 Ländern angehören.

Herr Wohltmann, welche Auswirkungen hat die Coronakrise aus Ihrer Sicht bisher auf die Convenience-Branche in Europa?
Mark Wohltmann:
Unsere Mitglieder berichten durchweg von denselben Auswirkungen: Die jeweiligen Ausgangsbeschränkungen haben zu einem massiven Einbruch des Kraftstoffverkaufs geführt – und damit ist einer der Hauptfrequenzbringer weggebrochen. Da mehr Menschen aus dem Home-Office oder in Kurzarbeit arbeiten und die Schulen geschlossen sind, fehlen einige der wichtigsten Anlässe für Unterwegsversorgung. Da die Sitzgastronomie in den meisten Ländern ebenfalls schließen musste, ist der Unterwegskonsum massiv zurückgegangen.

Wie schätzen Sie die wirtschaftlichen Auswirkungen für die Convenience Shops ein?
Unsere Mitglieder berichten von Umsatzverlusten zwischen 30 und nahe 100 Prozent in Tankstellen und Convenience Shops, abhängig vom Standort. Für einige Standorte hingegen, insbesondere solche in Wohngebieten, haben sich die Ausgangsbeschränkungen positiv ausgewirkt – ihr Shop-Umsatz hat sich teilweise verdoppelt.

Der langfristige wirtschaftliche Effekt für Convenience Shops kann noch nicht abgeschätzt werden; sicher ist jedoch, dass die meisten Händler 2020 einen deutlichen Umsatzrückgang hinnehmen müssen.

Mark Wohltmann

Fallen die Auswirkungen in allen Ländern bzw. Convenience-Formaten ähnlich aus – oder sind signifikante Unterschiede festzustellen?
Unterschiede sind vor allem nach Standort bemerkbar. Konsumenten halten sich mehr zuhause auf und kaufen näher am Wohnort ein. Hier hat die Coronakrise einen Trend verstärkt, den wir schon vor der Pandemie bemerkt haben: Konsumenten vertrauen eher dem „Convenience Shop an der Ecke“ als der anonymen Großfläche.

Tankstellenbetreiber berichten uns von teilweise massiven Umsatzzuwächsen in Produktbereichen, die vorher von Konsumenten an Tankstellen nur verhalten angenommen wurden und eher als „Notfallkauf“ galten. Diese Effekte sind über alle Länder hinweg erkennbar. Ihr Ausmaß variiert in der Regel vor allem je nach Strenge, Dauer und Art der Ausgangsbeschränkungen im jeweiligen Land.

Wie wird sich die Branche der Unterwegsversorgung nach Ihrer Einschätzung in den kommenden Monaten entwickeln?
Johannes Sangnes, CEO des Handelsunternehmens Reitan Convenience aus Norwegen, sagte kürzlich: „Es wird nicht eine ‚neue Normalität‘ geben, es wird tausende ‘neue Normalitäten‘ geben, mit nahezu täglichen Veränderungen im Konsumentenverhalten und neuen Regulierungen.“ Da kann ich nur zustimmen: Die vor uns liegenden 12 Monate werden von täglicher Veränderung geprägt sein. Die Frage wird sein, wie schnell Unternehmer auf diese neue Realität reagieren, positiv denken und die neuen Chancen nutzen.

Welche Chancen bietet die Krise aus Ihrer Sicht Unterwegsversorgern wie Tankstellen- und Convenience Shops?
Bereits vor der Krise war zu beobachten, dass mehr und mehr Konsumenten in entwickelten Ländern der Großfläche den Rücken kehren und häufiger in der Nachbarschaft einkaufen. Zwar hat der Wocheneinkauf auf der grünen Wiese von der Krise profitiert (weil die Konsumenten möglichst selten einkaufen gehen wollen), aber das ist sicher nur vorübergehend.

„Vertrauen“ spielt eine große und wachsende Rolle in der heutigen Welt und Konsumenten wissen, dass sie dem Shop an der Ecke vertrauen können. Hier liegt unsere Stärke als Branche und auch unsere Chance, die Krise für uns zu nutzen. Der Konsument wird nach der Krise denjenigen treubleiben, denen er vertrauen kann, die ihm Sicherheit bieten, sowohl Produktverfügbarkeits-Sicherheit als auch Hygiene-Sicherheit und Preis-Sicherheit.

Was können Unterwegsversorger aus der Krise lernen?
Flexibilität. Niemand war vorbereitet auf die Krise und kaum jemand hatte so etwas kommen sehen. Wir werden auch in der Zukunft Krisen haben, die wir heute nicht voraussehen können. Und während wir uns nicht auf etwas im Detail vorbereiten können, von dem wir noch gar nicht wissen, was es ist, so können wir uns darauf vorbereiten, schnell reagieren und flexibel sein zu können.

Ein paar Beispiele, die natürlich eher für größere Unternehmen zutreffen: Krisenstäbe, Prozesse zur Notfallkommunikation mit Betreibern oder Kunden, Lieferketten für Notfallartikel … sollten nicht erst gebildet werden müssen, wenn es zu spät ist. Die Prozesse müssen jetzt vorbereitet und kommuniziert werden, so dass im Notfall schnell gehandelt werden kann. Der Brandschutzbeauftragte legt die Fluchtwege auch nicht erst fest, wenn das Feuer ausgebrochen ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Fotos: Mark Wohltmann; Lekkerland

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